Die Gläserne Manufaktur – eine Autofabrik mitten in der Stadt
Architektur als Sinnbild
Die Architektur der Gläsernen Manufaktur gilt als Sinnbild für Transparenz und Authentizität. Sie macht die Produktion sichtbar und damit zu einem Event, zu dem die Öffentlichkeit eingeladen ist.
Die Gläserne Manufaktur liegt mitten im Zentrum Dresdens, direkt neben dem Großen Garten. Den geraden Formen der Fertigung stehen die organischen Formen des Besucherbereichs gegenüber. Für die transparente Fassade wurden 27.500 Quadratmeter Glas verbaut.
Die Architektur der Gläsernen Manufaktur war ursprünglich auf die Produktion einer Luxuslimousine ausgerichtet. Heute funktioniert sie auch als Erlebnisort für die mobile Zukunft − mit einer Ausnahme.
Im Juni 2018 haben wir das verantwortliche Architekturbüro HENN in Berlin besucht. Im Interview erklären Geschäftsführer Martin Henn und Georg Pichler, Architekt und Partner bei HENN, warum die Architektur, die vor rund 20 Jahren auf die Produktion einer Luxuslimousine ausgerichtet wurde, heute auch als Erlebnisort für die mobile Zukunft funktioniert.
Die Gläserne Manufaktur - eine architektonische Meisterleistung von Prof. Dr. Gunther Henn
Die Gläserne Manufaktur - eine architektonische Meisterleistung von Prof. Dr. Gunther Henn
Vor knapp zwei Jahrzehnten haben Sie mit der Gläsernen Manufaktur eine zukunftsweisende Produktionsstätte realisiert. Was waren die Anforderungen?
Martin Henn: Die Anforderungen haben wir damals im Dialog zusammen mit dem Bauherrn formuliert. Dabei wurden Fragen diskutiert, die den Standort Dresden betreffen, und inwieweit die Produktion zu einem Erlebnis für die Kunden ausgebaut wird. Denn im Gegensatz zu herkömmlichen Auslieferungszentren der Automobilindustrie macht die Gläserne Manufaktur nicht nur die Übergabe des Fahrzeugs erlebbar, sondern auch und vor allem seine Produktion. Die wichtigsten Punkte bei dem Entwurf waren Transparenz im Sinne von Interaktion zwischen dem Kunden und dem Produkt sowie zwischen dem Gebäude und der Stadt.
Hat das Konzept für die Gläserne Manufaktur von Anfang an funktioniert oder waren Anpassungen nötig?
Martin Henn: Eines der Ziele war, dem Luxusauto Phaeton eine Begehrlichkeit zu verleihen, die das Auto in seiner Markenwirkung stärkt. Hinzu kam die Idee, das Erlebnis in einer geschichtsträchtigen Stadt wie Dresden zu verankern, und zwar nicht wie üblich vor den Türen der Stadt, sondern mittendrin. Damit kam mit dem Entwurf noch etwas Neues hinzu: eine Fabrik, die sich örtlich und funktional zur Stadt öffnet. Dieses Konzept hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Immerhin wurde der Phaeton dort rund 15 Jahre produziert.
Heute steht die Gläserne Manufaktur für e-Mobilität und Digitalisierung, als Think-Tank für Start-ups und Erlebnisort für die mobile Zukunft. Inwiefern passt das noch zusammen?
Georg Pichler: Tatsächlich passt auch die neue Nutzung sehr gut zum damaligen Konzept. Das Interieur war natürlich ausgelegt auf die Botschaft des Phaeton (der Phaeton ist nicht mehr bestellbar). Derzeit wird als erster großer Schritt der Kundenturm auf das neue Publikum ausgerichtet; veredelte Wandoberflächen, damals passend für das Produkt Phaeton, werden durch neue, moderne und innovative Materialien ersetzt. Das ganze Projekt bekommt im Grunde eine Auffrischung, die noch größere Offenheit ausstrahlt. Die schon vorhandenen Beziehungen und Abläufe von Kundenturm, Montage, Restaurant und Showroom bewähren sich auch weiterhin. Das muss man nicht umbauen.
Martin Henn: Zudem lässt sich die bestehende Produktion aufgrund der Ästhetik, Technologie und Transparenz sehr gut, vielleicht sogar besser, auf das Thema e-Mobilität anwenden.
Steht die Gläserne Manufaktur für eine Rückkehr der Industrie in die Stadt?
Es wäre undenkbar gewesen, an diesem prominenten Ort eine herkömmliche Produktion mit Lackiererei und Presswerk zu bauen.Georg PichlerArchitekt und Partner bei HENN
Martin Henn: Ja, denn die Produktion wird dank der Digitalisierung viel stadtverträglicher. Im innerstädtischen Bereich sind Manufakturen nichts Ungewöhnliches. Es gibt die verschiedensten Professionen vom Schuster bis zum Juwelier, die meist in ihrem Laden hinter einer Scheibe sitzen und an ihrem Produkt arbeiten. Dabei kann man die Liebe und das Geschick sehen, die in ihre Arbeit einfließen. Gleiches passiert, wenn Sie durch die Gläserne Manufaktur gehen und dem Produkt bei seiner Entstehung zuschauen. Um diesem wertvollen Entstehungsprozess einen entsprechenden Rahmen zu verleihen, ist die Ausstattung der Gläsernen Manufaktur ästhetisch auf einem sehr hohen Niveau. Sie finden zum Beispiel in einer Autofertigung nirgendwo sonst auf der Welt einen Parkettboden.
Wie ist die Beziehung der Dresdner zur Gläsernen Manufaktur?
Georg Pichler: Anfangs waren die Bewohner der Stadt nicht begeistert. Das war eine schwierige Situation. Schließlich sollte ein Teil des Großen Gartens, wenn auch ein vergleichsweise kleiner Teil, bebaut werden. Auch das Wort Produktion rief verständlicherweise Ängste hervor. Es wäre auch undenkbar gewesen, an diesem prominenten Ort eine herkömmliche Produktion mit Lackiererei und Presswerk zu bauen.
Martin Henn: Wenn ich heute mit Dresdnern spreche, erfüllt sie das Projekt mit Stolz. Mit dem Konzept der Manufaktur und der Öffnung des Gebäudes für die Öffentlichkeit hat man den Dresdnern etwas zurückgegeben.